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Section 13. Confucian philosophy Nikita Skorodum Almanac of Post-Jungian Psychology and Culture, Saint Petersburg SCHICKSALS- UND MENSCHENLEHRE KONFUZIUS IM VERGLEICH ZU LEBENSANSICHTEN
GOETHES ABSTRACT Die
Schicksalslehre ist ein wesentlicher Bestandteil der Lehre nicht nur von
Konfuzius, sondern auch Goethes. Es gibt gewisse Übereinstimmungen
zwischen beiden Lehren. Darauf aufmerksam zu machen, ist unser Anliegen. Ohne
Bezug auf Schicksal ist der vollkommene Mensch, ein Vorbild des
gesellschaftlichen Verhalten [Junzi «君子»] gemäß Konfuzius nicht denkbar: «不知命,無以為君子也» «Lun
Yu»: 堯曰 – Yao Yue, 3.1]. Auch für Goethe war das
Schicksal stets von Bedeutung. Schon Faust in der Goethes Dichtung hofft eine
Kraft zu finden, «die Welt im Innersten zusammenhält» [Faust, Zeile
383]. Im Grunde genommen, kann man das Schicksal aus der germanischen Sicht
mit der «inneren Notwendigkeit» gleichsetzen. Die innere Notwendigkeit ist
das, was von äußeren Umständen nicht abhängt. Goethe
sagt davon ausdrücklich in seinen Urworten: «Und keine Zeit und keine
Macht zerstückelt / Geprägte Form, die lebend sich entwickelt». Im
späteren Alter hat Goethe sogar eine Lehre über das Dämonische
entwickelt, das über das Schicksal des einzelnen Menschen waltet.
Bezeichnenderweise gilt dieses Dämonische gemäß Goethe
besonders für hervorragenden Menschen [man vergleiche Junzi «君子»].
Tritt diese Macht plötzlich hervor, so ist sie die «unbedingte Zauberei»
zu nennen. KEYWORDS: Junzi «君子» vollkommener
Mensch innere Notwendigkeit Schicksal Urworte Farbenlehre unbedingte Zauberei
Dämonische |
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Man kann neue Einsichten gewinnen, wenn man aus
der Ferne sieht. Ausdrücklich hat das C. G. Jung gesagt in
Bezug auf das Übertragungsphänomen. Gemäß Jung ist «die
richtige Erkenntnis und Bewertung eines Problems zeitgenössischer
Psychologie nur dann möglich, wenn es uns gelingt, einen Punkt
außerhalb unserer Zeit aufzufinden, von welchem aus wir dasselbe betrachten
können. Diese Zeit außerhalb kann nur eine vergangene Epoche sein,
die sich mit derselben Problematik, aber unter anderen Voraussetzungen und in
anderen Formen beschäftigt hat». [Jung 1992 GW 16: 170] Diese
Erwägungen lassen uns in Betracht zu ziehen die Übereinstimmungen,
welche zwischen Ideen von Goethe und seinen Kreis und deren von Konfuzius
bestehen. Denn die Kommentarliteratur dazu ist enorm, aber gemäß
einer der führenden Goethekennerin der Gegenwart bedarf es gerade in der
Goetheforschung «des sinologischen Fachwissens» [Mommsen 1985: 21]. Schon das Thema China war für Goethe von
wesentlichen Bedeutung. Auffallend ist, dass gerade dann, wenn im Jahre 1813
das europäische und deutsche Schicksal durch
«Völkerschlacht» [16–19.10.1813] bei Leipzig entschieden werden sollte,
zog Goethe demonstrativ von gesellschaftlichen Leben zurück – zum ersten
Mal im solchen Ausmaß – um Chinesische Bücher zu studieren. Dieses Verhalten scheint eine Paraphrase zu sein
zum desjenigen Verhaltens Goethes während der Italienischen Reise, wenn
er und seine Gefährte auf einer Schifffahrt ernst bedroht waren. Goethe
schilderte es so: «Immer stärker schwankte das Schiff, die Brandung
schien sich zu vermehren, und meine durch alles dieses wiederkehrende
Seekrankheit drängte mir den Entschluss auf, hinunter in die Kajüte
zu steigen. Ich legte mich halb betäubt auf meine Matratze, doch aber
mit einer gewissen angenehmen Empfindung, die sich vom See Tiberias
herzuschreiben schien; denn ganz deutlich schwebte mir das Bild aus Merians
Kupferbibel vor Augen» Was aber ist das Schicksal? In diesem Zusammenhang kann man an «innere Form»
von Wilhelm von Humboldt denken. Oder an die innere Notwendigkeit laut
C. G. Jung [ebenda 170]. In dieser Hinsicht ist die innere Form
eine Form zu nennen, deren Entwicklung frei von äußeren
Einflüssen ist. Es versteht sich von selbst, dass eine solche Form –
gleichgültig auf welcher Ebene – man denke an Sprache (im Sinne Wilhelm
von Humboldts) oder an eine Gesellschaft – ist dauerhaft. In Bezug auf Dauer sagt Konfuzius folgendes: 子曰:「南人有言曰:『人而無恆,不可以作巫醫 «Ohne
beständig zu sein, kann man kein Zauberer sein» [«Lun Yu»《子路 - Zi
Lu》: 22]. Die Beständigkeit ist vor allem das, was
Goethe an der Lavaters Physiognomik suche, an welcher Ausarbeitung er aktiv
teilnahm. Er interessierte sich vornehmlich für das Beständige
in der Körperbildung: die Knochen. Es kommen auch Umrisse in Betracht, weil sie die
Grenzen dessen, was der Mensch kann, umschreiben. Lavater sagt dazu: «Gewisse Gesichter können
keine sanften Mienen, gewisse keine mächtig trutzenden annehmen. Alle
Gesichter können sanft sein und alle können zürnen. Ich
weiß es – aber gewissen Gesichter ist die Sanftmut so natürlich
oder so faktize, als einem andern der Zorn». […] «Du wirst den Kreis bestimmen
können, der diesem oder jenem Gesichte anberäumt ist – in welchem
es ihm freisteht, seine Rolle gut oder schlecht zu spielen.» (Lavater
1774-1778 IV. Bd.: 462). In dieser Hinsicht sind die Grenzen oder die
Rahmen, die dem menschlichen Tun gestellt sind, mit dem Schicksal
gleichzusetzen. In der Bildersprache redend, bezeichnet Goethe das Schicksal
mit dem Namen des römischen Gott Terminus. Es handelt sich um den Brief Goethes an Lavater,
in welchem Goethe ein Projekt des Denkmals zu Ehre der Schicksalsgöttin
Fortuna beschreibt. Goethe schreibt: «Mein erster Gedanke war so: Ich
wollte dem Monument eine viereckige Form geben… Von drei Seiten sollte jede einzelne bedeutende
Figur und die vierte eine Inschrift haben. Zuvörderst sollte das gute
heilsame Glück stehen, durch das die Schlachten gewonnen… im Felde zur
Rechten hatte ich mir den Genius, den Antreiber, Wegmacher, Fackelträger
mutigen Schrittes gedacht, im Felde zur Linken sollte Terminus, der ruhige
Grenzbeschreiber, der bedächtige, mäßige Ratgeber
stillstehend mit dem Schlangenstabe einen Grenzstein bezeichnen. Jener lebend
rührig vordringend, dieser ruhend sanft, in sich gekehrt» [Briefe 1833:
59]. Wir sehen, dass Lavater und Goethe waren sich
einig, dass es gewisse Rahmen gebe, innerhalb welchen der Mensch sich zu
bewegen hat. Das menschliche Tun ist von diesen Rahmen ganz und gar bestimmt,
und doch sind diese Rahmen nicht von der äußeren Natur. Es sind
vielmehr innere Tatsachen, die das menschliche Tun und menschliches
Sinn bedingen. Man kann deutsch auch das «innere Schicksal» sagen. Das innere
kann dabei als Schlüsselwort gelten und lässt vermuten, dass alles
was wir Schicksal nennen ist von innen bedingt: unabhängig von
äußeren Faktoren. Eine treffliche Beschreibung dieses Grundsatzes
finden wir in Goethes Urworte: Und keine Zeit und keine Macht zerstückelt Geprägte Form, die lebend sich entwickelt. Kehren wir zu Lavater zurück, so ist zu
bemerken, dass ein Grundunterschied in Ansichten der beiden zu sein scheint. Im Unterschied zu Goethe, dessen eigentliches
Bestreben eine Auseinandersetzung mit Schicksalsmächten war, kann
Lavater sogar als Nietzsches Vorläufer gelten. In seiner Physiognomik
bemüht sich Lavater wie Nietzsche stets das Superlative zu finden. Man
lese den berühmten Satz Nietzsches: Ich lehre euch den
Übermenschen. Der Mensch ist Etwas, das überwunden werden soll.
[Nietzsche 1930: 8] So sucht Lavater z.B. bei der Bienenkönigin
die Merkmale ihrer Überlegenheit: «Die Königinnen sind
bekanntermaßen nicht nur grösser, sondern die Umrisse ihrer
Gesichtsprofils und ihres Rückens sind höher, bogigter, einfacher».
[Lavater ebenda Bd. IV.58] Es besteht die Frage, ob dabei die Theorie von
Hogarth ihn nicht beeinflusste. Hogarth [1697–1764] der älterer Zeitgenosse
Lavaters glaubte eine «Line of Beauty and Grace» gefunden zu haben und ein
Traktat geschrieben hatte, wo er diesen Satz verteidigte. Als Musterbild blieb für Lavater immer das
Bild Christi, der als vollkommene und sogar vollkommenste Mensch – Ebenbild
Gottes – diente für Lavater zum Maßstab aller menschlichen Formen,
die bloß als Abweichungen von Ideal gelten, obgleich gewisse relative
Wert innerhalb einer Zeit und Milieu besaßen. Das Bedingtsein durch Schicksal ist bekanntlich
ein Grundsatz der Lehre von Konfuzius. Schon am Anfang seiner Gespräche
sagt Konfuzius symptomatisch: 人不知而不慍,不亦君子乎?[Lun
Yu《學而 - Xue
Er》1.] Konfuzius gemäß ist das Leben des
vollkommenen Menschen [Junzi «君子»] nicht nur durch das
Schicksal bestimmt, sondern der vollkommene Mensch folgt dem Schicksal ganz
und gar bewusst. Mehr noch. Es ist nur den einen vollkommenen Mensch
zu nennen, wer sein Schicksal kennt. «不知命,無以為君子也» [Lun
Yu 《堯曰 – Yao
Yue》, 3.1]
Es bedeutet eigentlich aus inneren Gründen zu handeln. Goethe hat bekanntlich
die Schicksalsomina stets beobachtet und befolgt. Als junger Mann wollte er
der bildende Künstler sein, aber eine Orakeldeutung riete es ihm ab. Der gemeine Mensch unterscheidet sich vom Edlen
durch sein Weltbild. Der gemeine Mensch denkt nur an Gewinn: «君子喻於義,小人喻於利 »
[Lun Yu《里仁 – Li
Ren, 16》].
Alles Gewinnmäßige ist durch Äußere zu erlangen (ist
ein Plus an äußeren Güter) und ist demzufolge durch
äußere Umstände bedingt. Darum nennt Konfuzius den gemeinen
Mensch ein Grass. Der vollkommene Mensch ist aber der „Wind“
und so folgt das Grass dem Wind: « 君子之德風,小人之德草。草上之風,必偃。» [Lun Yu《顏淵 – Yan
Yuan, 19》]. Der
gemeine Mensch kennt nicht den wahren Wert der Dinge. Der Wert der Dinge ist
nicht ihr äußere Nutzbarkeit, sondern ihr innerer Sinn. Den Wert eines
Edelsteines kann z.B. nur der Juwelier kennen, nicht der gewöhnliche
Mensch. Bezeichnenderweise schätzte Goethe das Märchen aus der
Tausend und eine Nacht über Aladdin, der lange Zeit die Edelsteine
bloß aufbewahrt, ohne ihren Wert zu kennen. Der Wert, welche dieses
Märchen für den Goethes Umkreis besaß, scheint dadurch zu
veranschaulichen, dass ein dänischer Nationaldichter und Zeitgenosse
Goethes verdichtete es. Den inneren Sinn der Dinge begreift man durch Anschauung.
Gemäß Goethe ist die Anschauung eine Betrachtungsweise, wodurch
alles Zertrennte in sich vereinigt, also zu seinem Selbst als einer Quelle
zurückführt wird. Dieses Anschauungsvermögen kommt zum
Ausdruck durch Intensität des Geisteslebens. Der vollkommene Mensch ist begeisterungsfähig.
Darum sagt Konfuzius, dass er das Altertum liebe, [子曰:「述而不作,信而好古,竊比於我老彭。Lun Yu《述而 – Shu
Er, 1》] und
darum schreibt Goethe im obenerwähnten Brief an Lavater, dass nur
Füssli imstande sei, das Projekt zu realisieren, weil er «mit Geist und
Feuer arbeitet» [Briefe 1833: 63] und weil er Einbildungsvermögen hat,
während dem anderen Bildhauer «von leichtem Begriff und schneller Hand»,
doch «an Imagination fehlt». Mut, Ausdauer, Geduld, alle diese [höhere]
Qualitäten kommen ins Leben nur durch größere Aussichten, oder,
anders gesprochen, wenn man die Froschperspektive eines gemeinen
Mannes durch Vogelperspektive eines vollkommenen Mannes ersetzt. Es gibt Momente, in welcher das Technische,
das Mechanische des Lebens tritt zurück, und das innere,
Schicksalshafte, innerlich bedingte tritt hervor. Goethe nennt das die
unbedingte Zauberei [Mommsen 1960: 74], d.h. solche Zauberei, die,
ohne Naturgesetze außer Kraft zu setzten, doch das Erstaunliche
leistet, eine wunderliche Lösung bietet, also ihre Steigerung
ist, Goethes Farbenlehre gemäß. Nach der Farbenlehre Goethes
nämlich, welche auf Ausführungen Jean-Paul Marats zurückgeht,
die er an die 3 französischen Akademien sandte, bilden die Farben gelb
und blau ein Gegensatzpaar. Ihr Ausgleich findet sich entweder auf der äußerlichen
oder auf der inneren Ebene. Im ersten Fall entsteht grün – die Farbe des
unteren Ausgleichs, eine bloße Mischung, das Versinken in das
Materielle. Im zweiten, höheren Fall entsteht das Rot, welche eine
Steigerung bedeutet. In dieser Hinsicht kann man die Methode von
Konfuzius, seine Forderungen das Maß halten im gesellschaftlichen
Verkehr, das Rituelle in den zwischenmenschlichen Beziehungen das gesteigerte
Leben nennen, die Zurückführung des Lebens auf das
Ursprüngliche, Wesenhafte, Naturmäßige. Es kommt auch das Dämonische in Betracht,
eine originelle Erfindung Goethes, die er in seiner Selbstbiographie
erörterte. Bezeichnenderweise trifft es hervorragenden Menschen (Je
höher ein Mensch, desto mehr steht er unter dem Einfluss der
Dämonen) [Eckermann 1982: 285] (24.03.1829). Es erübrigt sich zu
sagen, dass alles das ganz ernst gemeint war und kein Scherz war. LITERATUR Briefe
von Goethe an Lavater aus den Jahren 1774 bis 1783 / Hrsg. von Heinrich
Hirzel. – Leipzig: Weidmann’sche Buchhandlung, 1833. Eckermann, J. P.
Gespräche mit Goethe in den letzten Jahren seines Lebens. – Berlin und
Weimar: Aufbau-Verlag, 1982. Jung, C. G.
Gesammelte Werke. – Düsseldorf: Walter Verlag, 1992. Lavater, J. C.
Physiognomische Fragmente zur Befőrderung der Menschenkenntnis und
Menschenliebe. – Leipzig und Winterthur: Bei Weidmanns Erben und Reich, und
Henrich Steiner und Compagnie, 1774–1778. IV Bde. Mommsen, K.
Goethe und 1001 Nacht. – Berlin: Akademie-Verlag, 1960. Mommsen, K.
Goethe und China in ihren Wechselbeziehungen. Bern,·Frankfurt a.M.,·New York:
Peter Lang, 1985 Nietzsche, F.
Also sprach Zarathustra. Ein Buch für Alle und Keinen. – Leipzig: Alfred
Kröner Verlag, 1930. |
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